Sonntag, 13. Februar 2011

Tag 659 - Fiddler on the roof

England ist das Land der Immobilienmakler.
An jeder Ecke wachsen die kleinen, schicken Maklerbüros aus der Erde, in denen bildschöne Menschen in fliederfarbenen Kostümen oder Nadelstreifen an ihren perfekt sauberen Schreibtischen sitzen, und jeden Kunden mit einem Lächeln begrüßen, als seien sie gerade einer Milchschnitte-Werbung entsprungen.
Sie markieren alles, das nur irgendwie vermiet- oder verkaufbar ist, mit ihren Unternehmensschildern. Und es gibt eine Menge davon. Ob Einkaufsstraße oder Wohngebiet, überall findet man einen bunten Wald an „To Let“ Schildern.


Der Weg zu unserer eigenen Wohnung führt also über eine Makler Agentur. Das wird gleich klar, als wir im Internet die ersten Wohnungsanzeigen durchsehen.
Die Mietpreise sind deutlich höher als in Deutschland. Aber es hängt auch sehr von der Gegend ab, in die man ziehen möchte. Für uns ist sicher, dass wir hier am Rande Londons wohnen bleiben wollen. So nahmen wir einfach den Freak-Pub als Mittelpunkt und grasten alle Angebote im Radius von einer Meile ab. Ein Schlafzimmer, oder vielleicht sogar zwei, wenn der Preis in Ordnung war.

Noch am selben Tag bekamen wir einen Besichtigungstermin. Die Wohnung sah in der Anzeige wunderschön aus. Lichtdurchflutet, modern renoviert, schön geschnitten. Ungeduldig hibbelnd warteten wir vor der genannten Adresse auf die Maklerin. Die Dame aus dem Unterwäschekatalog kam auch gleich in ihrem Mini Cooper um die Ecke geschossen. Perfektes Lächeln, professionelles Auftreten.
Die Wohnung jedoch hatte mit der auf den Fotos überhaupt nichts gemeinsam. Ein staubiges, enges Loch mit Blick auf einen Bauzaun. War wohl nichts.

Am nächsten Wochenende zwei weitere Besichtigungen. Wieder ein Mini Cooper, wieder ein Reinfall. Wie kann man nur so geschickte Bilder von halbrenovierten Nasszellen machten?
Wir sind frustriert und laufen ziellos in der Gegend umher. Noch zwei Stunden Zeit bis zu einer weiteren Besichtigung. Ob wir wohl noch so eine Bruchbude vorgesetzt kriegen?

Und dann tauchte dort dieses neue Maklerbüro an der Straßenecke auf und ohne groß darüber nachzudenken, standen wir auch schon drin. In der Höhle des Löwen.
„Hello“, schnurrte eine perfekt gekleidete Löwin und schubste uns gleich in Richtung ihres Schreibtisches. Wie sie uns den helfen könne. „Hoffentlich kostet das jetzt noch nichts“, dachte ich, als wir halbherzig unsere Suchkriterien für ein neues Zuhause vorbrachten.

„Da hab ich genau das richtige für euch!“, jauchzte die Maklerin plötzlich in den höchsten Tönen und erzählte von einem Haus, das sie gerade erst hereinbekommen hätte, mit einer allerliebsten Dachwohnung. Genau das Richtige für ein junges, romantisches Pärchen. Das Wort romantisch sagte sie noch ganz oft.
Wann wir Zeit hätten für eine Besichtigung.
„Eigentlich… jetzt!“ sagten der Gawjus und ich gleichzeitig. Und sofort schmiss sich Frau Löwenherz ans Telefon, rief Hauseigentümer an, rief die Nochmieter an, erklärte, smalltalkte, zwitscherte, und nickte uns zwischendurch begeistert zu. Fünf Minuten später griff sie ihre Jacke. „Los geht’s!“
Und weitere zwei Minuten später saßen der Gawjus und ich auf dem Rücksitz eines… nicht Mini Cooper… Audis, auf dem Weg zur viel versprechenden Dachwohnung. Große Erwartungen hatten wir ja nicht. Für die Makler ist ja sogar eine Hundehütte ein „Kuscheliges, freistehendes Eigenheim mit viel Charme, eigenem Eingang und großzügiger Lounge“

Aber dieses Mal schien schon von Anfang an das Gefühl zu stimmen. Ein altes, gemauertes Haus im viktorianischen Stil, in einer sehr ruhigen Straße, unweit von unserem jetzigen Wohnort. Ich war gleich entzückt von der grünen Freddie-Mercury-Haustür!
Im Inneren… wir wussten sofort, DAS war sie. Unsere Wohnung. So viel Charakter, ein wenig verwinkelt. Tolle Zimmeraufteilung, sehr viel Platz, Stauraum ohne Ende, und eine lange Feuertreppe, die von der Hintertür runter in ein kleines Gartengrundstück führte. Und das Beste: Ein zweites, von der Hauptwohnung ein wenig abgesondertes Schlafzimmer mit runder Fensterfront. Geradezu perfekt für unsere Musikinstrumente… und für GÄSTE!

Wie im Traum wanderten wir umher, während die unaufhörlich schwafelnde Maklerin noch einmal die offensichtliche Schönheit dieses Ortes aufzeigte.
Es war dann der Preis, der uns wieder auf den Boden zurückbrachte. Shit. Zweihundert Pfund über unserem Limit. ABER…!!!!!
Wir melden uns, versprachen wir der Maklerin, die uns mit einer Million Visitenkarten überschüttete.

Schweigend und nachdenklich machten wir uns auf zur nächsten Besichtigung. Hier stand schon der obligatorische Mini Cooper vor der Tür. Der Makler lispelte.
Die Wohnung war eigentlich perfekt. Neubau. Frisch renoviert, brandneue Küche, kleines zweites Schlafzimmer, quadratisch, praktisch gut. Die wäre es gewesen… hätten wir die Dachwohnung nicht gesehen.
Wir melden uns, versprachen wir dem Makler. Und meinten es eigentlich auch ernst. Vernunft muss über Romantik siegen.

Zuhause rechneten wir wie verrückt. Gäbe es nicht doch eine Chance auf die Dachwohnung?
Wir kamen dann zum Ergebnis, dass es klappen würde, wenn sie nur Hundert Pfund im Monat günstiger wäre. Verdammte Hundert Pfund, das müsste doch drin sein. Wir riefen die Maklerin an und machten das Angebot. Okay, sie würde es mit den Hauseigentümern abklären und uns am Montagmorgen zurückrufen.
Vorsichtshalber riefen wir auch noch den lispelnden Makler an und sagten für die langweilige Neubauwohnung zu. Auch er wollte uns am Montag zurückrufen.
Montag. Tag der Entscheidung.

Der Lispler war der erste, der anrief. Okay, wir ßeien für die ßüße Wohnung mit ßwei ßlafßimmern im Rennen.
Eigentlich hätte ich mich freuen sollen, aber ich hoffte wirklich mit aller Kraft auf die Dachwohnung.
Und dann kam der Anruf von Maklerin Löwenherz: Die Eigentümer hätten sich mit dem Angebot einverstanden erklärt!
Juhuuuuuu!!!! Ich konnte es kaum glauben. Es gab bestimmt Leute, die hätten diese Wohnung für das Doppelte gemietet. Warum wir?? Aber darauf hatte die Löwenherz eine Antwort: Wir seien einfach die ersten gewesen. So ein Glück! Ach ja, das mache jetzt 500 Pfund Sicherheitsgebühr, please.

Der Papierkram ging los. Zuerst bezahlten wir die Sicherheitsgebühr. Dann bekamen wir schon einen Tag später Post. Eine Auflistung aller Kosten, die anfallen würden für die erste Monatsmiete, Kaution, Mietvertrag, Maklergebühr, Bearbeitungsgebühr, Gebühr für Schuldenüberprüfung. Nettes Sümmchen, tatsächlich. Aber dafür hatten wir ja schon seit Monaten so viel Geld wie möglich auf die Seite geschaufelt.
Wir füllten die Bewerbungsunterlagen aus. Wieviel Geld wir verdienten, Anschrift der Arbeitgeber, frühere Adressen, Nachweis dieser Adressen…

Ein paar Tage später ein Anruf von Frau Löwenherz. Die Schuldenüberprüfung sei jetzt durch. Alles sauber.
Am nächsten Tag bekam mein Arbeitgeber ein Fax mit der Bitte, zu bestätigen ob ich dort angestellt sei und wie viel ich verdiente. Was mich ein wenig irritierte war, dass auf diesem Fax für meinen Chef stand, ich würde eine Wohnung mieten für den monatlichen Betrag von soundsoviel Pfund. Worüber der sich natürlich gleich mit den Kollegen das Maul zerriss. Da frage ich mich doch, ob es notwendig ist, dieses Detail weiterzugeben. Schließlich ist das meine Privatsache.
Aber na ja, Chef zeigte sich sogar kooperativ, füllte den Wisch aus und ich konnte es gleich zurückfaxen (Dafür er mich aber 80 Pence zahlen lassen).

Drei Tage passierte nichts, dann schrillte plötzlich mein Handy mit mir unbekannter Nummer. Es war die Hauseigentümerin! Sie würde uns gerne treffen. Samstag? Ja?
Ein wenig aufgeregt standen wir Samstag dann vor dem Haus. Wir beschlossen uns in der Dachwohnung zu treffen, so hätten wir die Chance, nochmal einen Blick darauf zu werfen, bevor wir am 25. Februar einziehen würden.
Die Eigentümerin war sehr nett. Obwohl wir auch dieses Mal wieder so verzaubert von der Wohnung waren, dass wir kaum aufnahmefähig waren. Dieses Mal konnten wir sehr viel mehr Details sehen, die uns beim letzten Mal entgangen waren. Die wunderschönen Feuerstellen in Wohnzimmer und Küche. Die Farbe des Holzes und der Wandkacheln, die riesige alte Küche, die eher elegant-altmodisch als altbacken-altmodisch wirkt.
Ich glaube dort zu wohnen wird einfach ein Vergnügen und total inspirierend. Schon jetzt weiß ich, wo ich meine Pflanzentöpfe hinstellen will (Pflanzen! Ich! Das gab es noch nie!), und dass ich ein paar unserer schönsten Island-Landschaftsbilder auf Leinwand drucken möchte und aufhängen. Und die Wikingermasken. Und die Australien-Souvenirs vom Gawjus. Und meine gerahmte Queen-Schallplatte mit dem Freddie Mercury Autogramm. Zu Ehren der grünen Tür.
Die Wohnung wird wie ein Ort werden, an den wir nach der Arbeit nach Hause kommen und uns wie im Urlaub fühlen.
Oh, und ich möchte Besuch. VIEL Besuch! Jeder der hier mitliest ist eingeladen. Wann immer es euch nach London verschlägt, kommt auf jeden Fall auf eine Tasse Tee vorbei! Wenn es ein Sonntag ist, dann mache ich Roast Dinner mit Yorkshire Puddings. Und wir werden im Sonnenuntergang auf der Feuertreppe sitzen, machen Musik und genießen das Leben. Ja? Seid ihr dabei? Ich freu mich so!

Und jetzt kann ich kaum erwarten, bis es soweit ist. Noch 12 Tage!

6 Kommentare:

  1. Wow, das hört sich ja toll an und sieht nett aus. Scheint wirklich die absolute Traumwohnung zu sein - aber genau so muss man sie finden - ging uns mit dem Häuschen im Wald genauso :-).
    Viel Glück im neuen Heim - hoffe wir sehen dann auch Bilder von innen (und von der Haustür!!!).


    Lese noch nicht so lange hier und werde das so pö á pö nachholen.
    Ich liebe London!!!


    Liebe Grüße aus Bielefeld
    Bine

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  2. Herzlichen Glückwunsch, das klingt toll!!!
    Ich bin letzte Woche mit dem Lieblingsmann in unsere gemeinsame Wohnung gezogen und finde sie jeden Tag schöner :)

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  3. Ich freu mich direkt mit!!!!
    Das sieht aus wie Rapunzels Schloss.
    Congratulations!
    In welchem Stadtteil wohnt ihr denn dann?

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  4. Ich freue mich auf die Fotos! unfassbarviel. :>

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  5. Liebe Bine, Herzlich Willkommen im Blog :-) Jaaa, übermorgen geht der Umzug los und zuallererst werde ich natürlich tausend Fotos schießen. Von der Tür auch, selbstverständlich :-) Die sieht man auf dem Google Bild schon ein wenig. Es ist die Rechte. Häuschen im Wald klingt total romantisch :-)

    Liebe Frau Zimmer, auch hier erstmal Herzlich Willkommen im Blog und Glückwunsch für die neue Wohnung natürlich! Seid ihr schon eingerichtet?

    Liebe Juliane, Rapunzels Schloss! Das ist es! Ich habe die ganze Zeit einen Begriff dafür gesucht, für die hohe Mauer und das Turmzimmer. Heute hat noch jemand Rapunzel in Verbindung mit der Wohnung erwähnt. Wahrscheinlich werde ich diesen Namen für unser neues Zuhause übernehmen. Der Stadtteil ist übrigens Bromley. Kennst du?

    Liebe Beccy, Bilder gibt es balllld!!! Ich antworte bald auch noch auf deine Email. Interessiert mich ja brennend, wie es bei dir jetzt weitergeht ;-)

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  6. Hachja, Frauen auf Wohnungssuche - ein Kapitel für sich :)

    Die Maklergeschichte erinnert mich an "Trainspotting": I've got a beautifully converted Victorian townhouse, lots of storage space!
    http://www.youtube.com/watch?v=Ag1khUXhQwk

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