Samstag, 18. September 2010

Tag 518 - Vacation or Vacancy

Es wird Zeit eine neue To-Do-Liste zusammenzustellen. So eine brauchte ich, bevor ich nach England ging. Und da ich mich entschlossen habe zu bleiben, gibt es auch hier ein paar Sachen um die ich mich jetzt kümmern muss.
Also, was liegt gerade an?

1. Abmeldebescheinigung aus meinem früheren Wohnort organisieren
2. Geburtsurkunde organisieren
3. Mit 1. und 2. bei der Deutschen Botschaft in London einen Reisepass beantragen*
4. Nachweis meiner Anschrift besorgen**
5. Mit 4. ein Konto eröffnen***
6. National Insurance Number beantragen****
7. Einen Job finden*****

*Einen Reisepass brauche ich, weil mein Personalausweis bald ablaufen wird.

**Nichts ist so wichtig wie ein Adressnachweis, wenn man ein Konto eröffnen will. Da es in UK keine Meldepflicht gibt, muss man irgendwie anders nachweisen, dass man an der angegebenen Adresse auch tatsächlich wohnt. Das geht zum Beispiel mit dem Vorlegen von Strom- oder Gasrechnungen, Kontoauszügen oder Behörden- und Bankpost. Mein Problem ist allerdings, dass ich als Au Pair keine Rechnungen oder so was bekomme. Jetzt muss ich mir was einfallen lassen. Aber vielleicht kann ich die Abmeldebescheinigung verwenden, die meine frühere Stadtverwaltung schicken wird.

***Mein altes Konto hatte ich vor einem Jahr aufgelöst, weil ich mich bei dieser blöden Bank an Gebühren dämlich gezahlt habe und mein Geld seitdem lieber in einer Zigarrenkiste aufhebe...

****Obwohl ich das wohl lieber dem zukünftigen Arbeitgeber überlassen werde… für den wird das wahrscheinlich Routine sein, wogegen es für mich in den Bürokratenwahnsinn ausarten könnte.

***** Ein gutes Duzend Bewerbungen hab ich jetzt verschickt. Allerdings glaube ich, dass ich mein Ziel etwas hoch gesteckt habe für den Anfang. Ich habe mich für Bürojobs beworben, die meinem Beruf entsprechen… allerdings dem Beruf, den ich in Deutschland ausgeübt habe. Ob ich hier ohne Weiterbildung auf demselben Niveau arbeiten kann ist fraglich.

Was also tun? Ich brauche Einkommen, und zwar schnell. Ohne Geld hab ich hier keine Chance. Diese Stadt saugt einem regelrecht jeden Penny aus der Tasche.

Ich habe mit einigen erfahrenen Leuten gesprochen. Vor allem die Ladies im Charity Shop haben mir sehr guten Rat erteilt. Sie alle haben auf die Wichtigkeit hingewiesen, erstmal irgendwo einen Fuß in die Tür zu kriegen.

So kam ich jetzt auf die Idee, mich in High Street Geschäften zu bewerben und klein anzufangen, als Regaleinräumerin, Verkäuferin oder Kassiererin. Dieser Stundenlohn kann mich auf jeden Fall fast schon füttern. Und dann werde ich mich hocharbeiten. Vielleicht werde ich Ober-Regaleinräumerin oder High-Speed-Kassiererin. Mein Foto wird so lange im Mitarbeiter-des-Monats-Schaukasten hängen, bis es ausbleicht. Und dann wird mir empfohlen, mich intern auf eine Position im Büro zu bewerben, schließlich weist mein Lebenslauf ja auch Erfahrung darin auf… und dann klettere ich noch ein paar Sprossen höher, hallo Verwaltung, und bin plötzlich die Chefin einer Debenhams Filiale, woohoo.

Naja, es KÖNNTE ja sein!

Auf jeden Fall bleibe stürze ich mich jetzt kopfüber in die Bewerbungsflut und bleibe mal ganz gespannt, wo ich am Ende auftauche. Werde berichten.

Montag, 13. September 2010

Tag 513 - Cold Turkey

Nach einer Woche schottischer Putzmagie ist nichts mehr wo es vorher war. Sogar eine Wand in Mummys Schlafzimmer haben die eifrigen Tanten eingerissen. Neue Wasserhähne montiert, Beete im Garten angelegt und tonnenweise Müll entsorgt. Nur mit Mühe konnte ich sie davon abhalten auch mein Au Pair Zimmer in Angriff zu nehmen. Etwas schmollend haben sie dann aber akzeptiert, dass ich mein Zimmer lieber selbst putze. Meine Wäsche wasche ich auch selber, ich bin 25. Granny warf noch einen letzten sehnsüchtigen Blick auf einen mikroskopisch großen Staubfussel unter meinem Heizkörper, gab sich dann aber geschlagen und wienerte frustriert die Außenseite meiner Zimmertür. Ich verbrachte in dieser Woche sehr viel Zeit auf der Flucht. Hab mir die Sargnägel geschnappt und mit ihnen etwas unternommen, weil sie sowieso ständig den Putzenden und Gärtnernden in die Quere kamen. Und da wurde mir erst so richtig bewusst, was während des Tanten- und Omabesuchs mit den Kindern passiert war. Ich erkannte eindeutige Anzeichen von Suchtverhalten. Die Sargnägel waren innerhalb weniger Tage komplett zuckerabhängig geworden. „Keine Süßigkeiten!??“ schrie Klein Sargnagel entsetzt, als er auf dem Spielplatz durch meine Picknicktasche wühlte. Groß Sargnagel fing vor Schreck an zu Hyperventilieren. „Hey, aber guckt mal, lecker Apfel. Ist auch süß.“ Beleidigt trollten sich die Sargnägel in Richtung Spielgeräte. Dann kam dieser kleine Junge auf den Spielplatz gewackelt. In den Händen hielt er einen riesigen Schokoladenkeks, den er sich genüsslich ins Gesicht schmierte. Die Sargnägel fielen fast vom Klettergerüst, so sehr waren sie vom Anblick des Kekses überwältigt. Im Bruchteil einer Sekunde hatten sie Freundschaft mit dem Jungen geschlossen. Klein Sargnagel bot großzügig an, den Keks für einen Moment zu halten, während sich der Kleine auf einer Strickleiter abmühte, doch der war selbst ein Kind und roch den Braten. Der Knirps hakte quasi seinen Kiefer aus, um einen demonstrativ gewaltigen Biss seines Kekses zu nehmen, direkt vor den Sargnagelnasen. Und dann geschah es. Ein fingernagelgroßes Stück Keks brach irgendwo zwischen den kleinen Milchzähnen ab und fiel auf den asphaltierten Boden. Direkt vor die Füße der Sargnägel. Man ahnt es. Wie ein Bündel wilder Hunde stürzten sie sich auf den Keksbrösel. Groß Sargnagel grabschte erfolgreich, und steckte das Stück unter lautem Wutgeheul ihres Bruders schnell in den Mund. Igitt. „Die hatte was Süßes und ich niihihihihicht!“ schluchzte der Kleine Sargnagel kurz darauf in mein linkes Ohr. „Na dann komm mal her“, sagte grauhaarige Lady, die auf der Bank neben mir saß, und holte aus den Untiefen ihrer Handtasche ein schon etwas mitgenommenes Kaubonbon. Die Augen des Sargnagels glänzten wie Christbaumkugeln. Nachdem er das Bonbon einmal genüsslich abgeleckt hatte, lief er los um damit seine Schwester eifersüchtig zu machen. Wer Geschwister hat weiß, dass Ablecken das wirksamste Mittel ist, um den Besitz einer Süßigkeit zu sichern. Weit kam er jedoch nicht. Noch auf dem Weg zum Karussell bekundete eine Wespe ihr Interesse an dem Kaubonbon. Klein Sargnagel wollte sich seine Beute aber um nichts in der Welt wieder hergeben, deswegen schubste er das Tier etwas unwirsch von sich weg. Man ahnt es. Der markerschütternde Schrei des Kleinen Sargnagels war bestimmt im ganzen Viertel zu hören. Jeder starrte das Kind an, dessen Kopf sich knallrot verfärbte. Das Wort Allergie ging durch meinen Kopf. Wespenstich in der Luftröhre. Ersticken. Sterben. Tod. Meine Schuld. In Lichtgeschwindigkeit hatte ich mein Buch von mir geworfen, sprang von der Bank auf und rannte was das Zeug hielt zum immer noch brüllenden Sargnagel. „Wo hat sie gestochen?“, kreischte ich, scannte mit den Augen jeden Zentimeter seines Halses und schüttelte ihn. „Nirgends!“ schluchzte Klein Sargnagel schließlich. „Aber ich hab mein Bonbon fallen lassen, buuuuhuuuuuu!!!“ Meine Nerven! Zuhause hab ich gleich darum gebeten, den Kindern nicht mehr so viel Zucker zu geben. Die Tanten stimmten etwas widerwillig zu, und Granny gar nicht, aber Mummy sprach dann doch ein Machtwort. Zuerst waren die Sargnägel am Boden zerstört, aber so langsam gewöhnen sie sich wieder an normale Ernährung. Nur Groß Sargnagel holt von Zeit zu Zeit ein leeres Bonbonpapier aus ihrer Tasche und leckt seufzend daran…

Sonntag, 12. September 2010

Der Neue

Der Blog kriegt eine neue Charaktere.
Es wird Zeit noch jemanden vorzustellen, der neben den Sargnägeln eine wichtig Rolle in meinem Leben spielt, aber bisher noch nie so richtig erwähnt wurde.
Vor genau einem Jahr hab ich mein Herz nicht nur an England, sondern auch an diesen nett dreinblickenden jungen Herrn verschenkt, der hier ab jetzt unter dem Namen "Gawjus" bekannt sein wird:



Gestern hatten wir einjähriges Jubiläum. So richtig spießig und erwachsen haben wir uns schön angezogen und sind zum Abendessen in den Mandarin Palast. Stießen mit einem Glas Wein auf das letzte Jahr an... und auf alle weiteren, die noch folgen mögen.

Montag, 6. September 2010

Blogeintrag Nr. 100!

Es ist offiziell.

Mein Job als Au Pair endet am 22. Oktober nach 552 wilden Tagen mit den beiden Sargnägeln. Es ist unglaublich, dass diese Zeit zu Ende sein soll, die mir immer noch viel zu kurz vorkommt.

Aber sagt man nicht, dass jedes Ende auch einen neuen Anfang bedeutet?
Ich muss schon seit längerem nicht mehr darüber nachdenken, wie meine Zukunft aussehen soll. Der Entschluss steht fest:

Ich bleibe in England.

Wie könnte ich nur dieses wunderbare Land auf der grünen Insel verlassen, und alles was ich mir hier aufgebaut habe? Warum wieder nach Deutschland zurückgehen, wo alles so wäre wie vorher? Als hätten die letzten 1 ½ Jahre nie stattgefunden, wieder zurück in dasselbe Grau, in die gleiche Depression?

Mein Herz hat sich hier niedergelassen. Und wo mein Herz ist, soll auch mein Zuhause sein.

Der Anfang hier wird nicht einfach werden. Ich brauche Geld, einen Job, eine Unterkunft. Aber ich bin fest entschlossen meinen Traum wahr zu machen. Und ob mit oder ohne Sargnägel, ich werde den Blog weiterführen und euch über alle Forschritte und Rückschläge auf dem Laufenden halten.

Vielen Dank an alle meine lieben treuen Leser! Ihr seid großartig!